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"Es ist weder selbstverständlich noch unausweichlich, dass die Menschheit ständig Fortschritte macht. Wir sehen uns heute der Tatsache gegenüber, dass die Zukunft schon begonnen hat. Wir sind mit der gnadenlosen Dringlichkeit des Jetzt konfrontiert. In diesem für uns rätselhaften Leben und der Geschichte ist es durchaus möglich, dass man einfach zu spät kommt… Auch wenn wir verzweifelt ausrufen, die Zeit möge ihrem Lauf Einhalt gebieten: Die Zeit erhört unser Flehen nicht, sondern läuft unaufhaltsam weiter. Über den ausgebleichten Knochen und bröckelnden Überresten zahlreicher Zivilisationen stehen die ergreifenden Worte geschrieben: zu spät.“
Martin Luther King Jr., “Wohin führt unser Weg: Chaos oder Gemeinschaft“
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Der planetarische Kalender
Rohstoffe, einschließlich derjenigen, aus denen Energie gewonnen wird, haben sich in den - nach menschlichen Zeitmaßstäben - sehr langen Zeiträumen der Erdgeschichte gebildet. So entstand Steinkohle vor etwa 250 Millionen Jahren. Für eine Schicht von 1 cm Steinkohle war ein Baumwachstum von etwa 100 Jahren erforderlich.(1)
Ein kurzer Blick in den planetarischen Kalender soll die zeitlichen Größenordnungen und den Anteil menschlicher Geschichte etwas verdeutlichen.
Wenn man annimmt, das am 1. Januar, das heißt etwa vor 4, 6 Milliarden Jahren, seit die Erde entstanden, dann dauert es immerhin
- bis zum 1. September (vor 1, 5 Milliarden Jahren), bis die ersten Zellen mit Zellkern entstanden sind und
- bis zum 25. November (vor etwa 450 Millionen Jahren), das die ersten Wirbeltiere sich entwickelten;
- die Dinosaurier erschienen am 13. Dezember (vor 225 Millionen Jahren),
- am 31. Dezember, um 19. 30, zeigte sich der älteste bekannte Ahne der Menschheitsfamilie
- um 23. 56 Uhr und 45 Sekunden hat Homo sapiens alle Kontinente besiedelt,
- seitdem entstehen und vergehen Kulturen, häufig verursacht durch Überbevölkerung und Umweltschäden,
- zwei Sekunden vor Mitternacht wird mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert der Grundstein für die technisch - wissenschaftliche Revolution gelegt,
- die 1, 5 Sekunden vor 24 Uhr mit der Erfindung der Dampfmaschine zur ersten industriellen Revolution führt und mit der Entdeckung des künstlichen Düngers zur landwirtschaftlichen Revolution.
Durch die Intensivierung von Agrarflächen und fossile Energien wurde in allen materiellen Bereichen eine Wachstumsexplosion ausgelöst. In allerkürzester Zeit werden in den letzten Sekunden des kosmischen Jahres die Vorräte verbraucht, für die lange Entstehungszeiträume notwendig waren - ein verhängnisvolles zeitliches Missverhältnis.
Die Wirtschaftsprozesse haben mit dem "Verbrauch" von Rohstoffen nicht nur zu einer Verknappung der Ressourcen geführt, sondern die Tatsache deutlich gemacht, dass es sich hierbei um eine Umwandlung handelt: Wertvolle Rohstoffe werden in kürzester Zeit in Abfall verwandelt.
Je schneller wir die letzen Rohstoffe verbrauchen, umso eher ist das Ende der veralteten, der nicht zukunftsfähigen Wirtschaftsprozesse absehbar!
"Wenn wir unser Konto mit der Natur ausgleichen wollen, müssen wir das Tempo unserer Wirtschaftstätigkeit so drosseln, dass es sich mit den Zeitplänen der Natur verträgt." Jeremy Rifkin
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Der optimistische Glaube, durch technischen Fortschritt immer neue Fundstätten entdecken zu können, die immer weniger rohstoffhaltigen Lager wirtschaftlich ausbeuten und Ersatzrohstoffe finden zu können, verleitet zwar dazu, uns über die Endlichkeit hinwegzutäuschen, kann aber wissenschaftlichen und langfristigen Überlegungen und Erkenntnissen nicht standhalten. Dieser optimistische Glaube ist irrsinnig, da aus Möbeln nicht wieder Bäume hergestellt werden können.
Nachhaltiges Wirtschaften heißt danach schlicht, die nicht umkehrbare Zeit in das Wirtschaften hineinzunehmen, schrittweise nicht erneuerbare durch erneuerbare Rohstoffe zu ersetzen und schließlich nur noch erneuerbare Rohstoffe zu nutzen, die nach ihrem Verbrauch in die natürlichen Kreisläufe aufgenommen werden können.
Viele Gesellschaften in der Geschichte haben ihre existenzielle Herausforderung nicht erkannt und sind deshalb untergegangen. Mit der fossilen Krise steht heute die gesamte Weltgesellschaft in einer solchen Grenzsituation: "Noch kann gegen die schlimmsten Folgen des Klimawandels etwas unternommen werden. Doch es muss rasch gehandelt werden, denn das Zeitfenster schließt sich: Uns bleibt noch knapp ein Jahrzehnt, um einen Kurswechsel vorzunehmen. Die in den nächsten Jahren ergriffenen - oder unterlassenen - Maßnahmen werden einen weit gehenden Einfluss auf den zukünftigen Verlauf der menschlichen Entwicklung haben. Es sind weder die mangelnden finanziellen Ressourcen noch die fehlenden technischen Fähigkeiten, die uns vom Handeln abhalten. Woran es mangelt, ist das Bewusstsein für die Dringlichkeit, menschliche Solidarität und Gemeinsinn."(2)
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(1) Der planetarische Kalender ist aus dem Aufsatz von Angelika Zahrnt "Zeitvergessenheit und Zeitbesessenheit der Ökonomie" entnommen worden. In: Martin Held / Karlheinz A. Geißler (Hrsg): "Ökologie der Zeit - Vom Finden der rechten Zeitmaße, Stuttgart 1993, Seite 111 ff. Angelika Zahrnt ist Mitglied im "Rat für nachhaltige Entwicklung" www.nachhaltigkeitsrat.de
(2) Bericht über die menschliche Entwicklung 2007 / 2008: Den Klimawandel bekämpfen: Menschliche Solidarität in einer geteilten Welt, Berlin 2007, S. 44, www.dgvn.de
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